Erstveröffentlichung: Kulturrisse › Ausgaben › 03/2012 > http://kulturrisse.at/ausgaben/widersprueche-der-kreativen-stadt/wrestling-movements/wir-brauchen-ein-zwei-…-viele-freiraeume-in-wien
Miethai Fisherman’s Suplex: Wir brauchen ein, zwei … VIELE Freiräume in Wien!
Gentrifizierung ist seit einigen Jahren das neue Modewort im linken Diskurs-Universum. Aber beschäftigen sich linke Strukturen, Kollektive und Projekte wirklich mit den Auswirkungen ihrer Verortung im GPS-Raster von Wien? Haben die wenigen undogmatischen Freiräume überhaupt einen Einfluss auf Prozesse, die zu Gentrifizierung führen?
Wenn wir in der autonomen Geschichte der Stadt Wien zurückgehen, finden wir einige Hausbesetzungen, die teilweise auch die heutige „alternative“ Kulturszene stark mitprägen. Das Amerlinghaus wurde 1975 besetzt und besteht seitdem am Spittelberg als wichtiger Anlaufpunkt vor allem für Politgruppen. Die Arena-Besetzung erkämpfte 1977 das heutige Gelände und ist seitdem in Erdberg ein wichtiger Kultur-Fixpunkt. Die Rosa Lila Villa wurde 1982 besetzt und macht seitdem wichtige LGBT-Arbeit an der Wienzeile. Das Ernst-Kirchweger-Haus wurde 1990 besetzt und provoziert nach wie vor alle möglichen Leute in Favoriten und weit drüber hinaus durch das Weiterbestehen und seine Politarbeit. Das Flex übersiedelte nach einer Besetzung im 12. Bezirk 1995 in einen stillgelegten U-Bahnschacht an den Donaukanal. Dort konnte es sich – im Unterschied zu vielen Lokalen aus der migrantischen Community und Clubs aus dem LGBT-Umfeld – halten und sogar zum kommerziellen big player entwickeln. All diese Locations haben seit ihrer Gründung tiefe Spuren in die Wiener Kulturlandschaft getrampelt und wohl auch ihren jeweiligen Anteil am Gentrifizierungs-Karussell mit zu verantworten.
Seit Mitte der 2000er-Jahre gibt es viele Projekte aus dem Wiener undogmatischen Spektrum, die einen neuen Weg einschlugen und versuchten, als Kollektive Freiräume zu ermöglichen – und zwar in regulären Mietverhältnissen oder sogar durch Eigentumserwerb. Beispiele: W23, i:da (jetzt aparat und daraus hervorgegangen das bäckerei), die bikekitchen, die Schenke, der Kostnixladen in der Zentagasse, das Lolligo, Kukuma, planet10 usw.
Die neuere Besetzer_innen-Bewegung (nach 2000: Freiraum, Hausprojekt etc.) hingegen kämpft nach wie vor für einen aus Steuergeldern finanzierten Freiraum für Kultur- und Politarbeit. Hier wird in den letzten Jahren auch wieder mal verstärkt Nachbarschaftsarbeit betrieben und auch über die Grenzen der eigenen Szene hinweg gedacht. Bei der PizzeriⒶ oder auch dem Lobmeyerhof wird bzw. wurde ein solidarischer Umgang mit verbliebenen Mieter_innen betrieben, es wird auch für deren Wohnraum mit gekämpft. Das Epizentrum-Squat in der Lindengasse hielt sich Ende 2011 fast ein ganzes Monat zur Verwunderung aller Beteiligten und Kommentator_innen. Als Erfolg dieser neueren Besetzer_innen-Bewegung kann wohl die pankahyttn gesehen werden, die seit Ende 2007 in der Johnstraße existiert. Viele der meist nach einem Wochenende bereits wieder geräumten Squats stehen auch Jahre danach immer noch leer, das Erdgeschoß ist jeweils mit Spanplatten verschraubt, damit die Häuser in Ruhe zusammenfallen können.
Der Wunsch nach einer besseren, schöneren, bunteren und gerechten Wohn- und Politumgebung kann nicht durch die Gefahr, Teil von Gentrifizerungs-Prozessen zu sein, gelähmt werden. Projekte sollten aber mitdenken, was sie im Grätzel ankurbeln und wie der Verdrängungsspirale entgegengewirkt werden kann. Die Stadt Wien und vor allem die Grünen in der Stadtregierung sollten mal etwas mutiger agieren und sich für neue Freiräume einsetzen. Ein politischer Mindeststandard sollte es sein, dass alle Menschen und Lebensweisen in der Stadt Platz haben.
Für den gemeinsamen, solidarischen Kampf – über Szene und Einkommensgrenzen hinweg – gegen Wohnraumverknappung, hohe Mieten und niedrige Löhne. Leerstände öffnen zur Zwischennutzung! Miethaie zu Fischstäbchen!